Was gibt es besseres als ein Leben im Wald? Frische Luft, natürliches Tannennadelaroma, und niemanden zur Gesellschaft als die Tiere des Waldes … Zugegeben, letzteres kann auf die Dauer ein bisschen einsam werden. Und so war die junge Waldläuferin Maere hellauf begeistert, auf das Lager einer anderen Waldbewohnerin zu stoßen. Und als sich herausstellte, dass die Halblingin Katie nicht nur eine gemessen an ihrer Größe mächtige Axt mit sich herumschleppte, sondern auch noch die gleiche Frisur wie Maere hatte, kamen die beiden schnell ins Gespräch. Es scheint jedenfalls völlig unüblich für (angehende) Helden zu sein, so etwas wie eine Schere zu besitzen - dann raspelt man sich eben die Haare mit der Dolchscheide zurecht. Aber als die beiden gerade anfingen, sich miteinander bekanntzusamen, kamen sie nicht weit - da tönte aus den Tiefen des Waldes der Ruf “Halt! Das ist ein Überfall!” Und er galt keiner der beiden.
Kerym’tal hatte es eilig, die Stadt zu verlassen - eilig genug jedenfalls, um in ein Reittier zu investieren, als er Lastow verließ, wo er sein jämmerliches Leben verbracht hatte, und aufbrach, um die Elfen zu finden. Gut, für ein prachtvolles schneeweißes Elfenross mit seidiger Mähne hatte es nicht gereicht, aber selbst der einfache Braune schien schon wertvoll genug zu sein, um den Halbelfen von einem unauffälligen Reisenden zu einer lohnenden Beute zu machen. Jedenfalls schien das der Räuber zu glauben, der dreist Kerym’tals Weg versperrte und mit einem Rapier vor ihm herumwedelte. Ein dürrer Bursche auf einem Pferd, ohne sichtbare Waffen - das versprach leichte Beute. Und leider sah Kerym’tal das auch so. Im Dunkeln, von hinten, mit zwei zielgenau platzierten Dolchen in den Nieren, das war etwas anderes, aber direkter, frontaler Konflikt, allein, bei Tageslicht, das war nichts für ihn. Aber sein Pferd wollte er trotzdem behalten.
Mit Witzen und Bluff versuchte Kerym’tal sich herauszureden: Vielleicht half es ja, wenn er sich quasi als Kollege zu erkennen gab? Was war aus der Ehre unter Dieben geworden? Aber da schlug schon ein Armbrustbolzen neben seinen Füßen ein. Die allseits beliebte Frage »Du und welche Armee?« führte zwei versteckte Schurken in den Bäumen zutage. Der Räuber hatte seine Kumpels dabei. Gnulp. In Gedanken verabschiedete sich Kerym’tal von seinem Pferd, aber zumindest würde er sich dann keine Sorgen mehr machen müssen, dass er mit seinem Reisegepäck heillos überladen war - das würden ihn die Räuber sicher auch nicht behalten lassen. Aber Hilfe kam von unerwarteter Seite. Maere und Katie waren vielleicht nicht ausgezogen, um Jünglingen in Not beizustehen, aber sie hatten gerade nichts besseres zu tun. Und ein Kampf gegen ein paar Räuber versprach Action.
»Dein Nachmittag hat sich gerade verschlechtert!«, rief die vertikal herausgeforderte Barbarin, als sie anstürmte und zeigte, dass man keinen ganzen Meter groß sein muss, um seine Axt in einen Gegner zu schlagen. Und die Waldläuferin brauchte gar keinen Anlauf, um den nächstbesten Räuber aus den Ästen zu schießen.
Kerym’tal grinste. »Das sind meine Kumpels. Und meine Kumpels treffen.«
Tatsächlich dauerte der Kampf danach nicht mehr lange. Der Anführer der Räube suchte das Weite, während seine Kumpels, getroffen von Kompositbogenpfeilen, weniger Glück hatten, dafür aber sogar ein bisschen Geld dabei. Dreizehn Silberstücke, um genau zu sein - und wie soll man die gerecht unter drei Leuten aufteilen? Kerym’tal versuchte, mit mathematischer Diplomatie ein Silberstück in seinem Ärmel verschwinden zu lassen, ließ sich aber erwischen und entschied sich dafür, Katie und Maere jeweils sechs Münzen zu geben - schließlich hatten die ja auch den eigentlichen Kampf bestritten.
Und so machten sich die Insta-Kumpels endlich miteinander bekannt. Die beiden Frauen waren auf dem Weg in die nächste Stadt, ein Ziel, das Kerym’tal eigentlich so weit wie möglich hinter sich lassen wollte. Aber da Mare und Katie auch nicht wussten, wo man Elfen finden sollte, und da sie ihm das Leben gerettet hatten, und da Kerym’tal auch durchaus Interesse an etwas Gesellschaft hatte, bot er an, sie in die Stadt zu begleiten oder zumindest bis zu dem Dorf, durch das er vor zwei Tagen gekommen war. Da sollte man schließlich auch die Vorräte auffrischen können, ohne gleich bis nach Lastow reisen zu müssen. Sie kamen nur etwas langsamer voran - Katie besaß zwar einen prachtvollen Reithund und war als Barbarin zu Fuß nicht langsamer als einer von den Großen, aber da Maere weder Hund noch Pferd dabeihatte, ging es dann doch nur im Wandertempo weiter. Und sie waren noch nicht aus dem Räubergebiet heraus, als sie ihr Nachtlager aufschlugen. Aber irgendwas ist immer, und deswegen stellt man ja auch Wachen auf.
Katie hatte die mittlere Wache, und Katie hörte etwas. Schnell waren auch die beiden anderen auf den Beinen. Maere spannte ihren Bogen, während sich Kerym’tal in die Büsche schlug - nicht um sich aus dem Staub zu machen, aber um unerkannt anschleichen zu können und eine Chance auf einen hinterhältigen Angriff zu haben, seine einzige Möglichkeit, überhaupt jemandem mehr als einen Kratzer zufügen zu können. Die Räuber waren zurück. Offenbar hatte der Hauptmann nicht nur exakt die gleiche Frisur wie Katie und Maere, sondern auch mehr als die beiden zerschossenen Kumpel, und er war auf Rache aus - das, oder er hatte gesehen, dass Axt und Bogen genug Geld wert waren, um es zu riskieren, schließlich waren die Helden auf der zweiten Stufe gestartet und reich genug, um die ersten Meisterarbeitsgegenstände zu besitzen.
Der Hauptmann war selbst schuld. Er sollte den Tag nicht überleben, ebensowenig wie seine zweite Garnitur an Freunden. Die Waldläuferin traf einfach zu gut, die Axt landete einen kritischen Treffer, der aus einem Räuber buchstäblich zwei machte, und auch der Dieb mit dem Stärkemalus durfte ein, zweimal herzhaft zupieksen, auch wenn er nächstes Mal in seinem Versteck bleiben sollte und die Dolche werfen. Aber diesmal hatten auch die Helden die eine oder andere Schramme davongetragen: Die Barbarin war schwer angeschlagen und musste von Kerym’tal, der als einziger ein bisschen Ahnung von Heilkunde hatte, wieder zusammengeflickt werden. Heiltränke hatten die Räuber natürlich nicht dabei, auch wenn der Hauptmann in der Zwischenzeit einen getrunken haben musste, aber dafür gab es wieder ein bisschen Geld, das sich wiederum dann am besten aufteilen ließ, wenn man vorher eine Silbermünze unauffällig verschwinden ließ. Kerym’tal sollte wirklich zusehen, dass er sein Sleight of Hand bei nächster Gelegenheit steigert, denn er ließ sich schon wieder erwischen. Aber Insta-Kumpels kann so schnell nichts erschüttern.
Zwei ereignisarme Tage später, Katies Wunde war schon gut verheilt, erreichten sie endlich die Siedlung - ein kleines Dorf, das mit dem Kupfernen Krug immerin ein Gasthaus hatte, in dem die drei dann auch gerne einkehrten. Die Aussicht auf eine Nacht in einem richtigen Bett und vor allem etwas Anständiges zu essen - da keiner der Gefährten auch nur irgendwas vom Kochen verstand - sowie das neugewonnene Silber war Grund genug, es sich einmal gutgehen zu lassen. Ein anständiger Eintopf, ein kühles Bier, ein Becher … Milch? Die Wirtin war irritiert. Maere und Katie erst recht. Aber der Halbelf bestellte Milch zu seinem Essen, und bei Milch blieb er auch für den Rest des Nachmittags. Und er hatte kein Interesse, etwas daran zu ändern, als ein ebenso kontakt- wie trinkfreudiger Fremder zu ihnen stieß, sich an ihren Tisch setzte und begann, sein mitgebrachtes Hochprozentiges auszuschenken.
Doran, so der Names des Mannes mit dem gezwirbelten Schnurrbart, suchte das Abenteuer. Zwar war er eigentlich auf dem Weg nach Lastow, um dort das Bier im Lastower Reiter zu verkosten, aber die Aussicht, das Lager der Räuber auszuheben und dort reiche Beute zu machen - oder die Schätze zu den Opfern und Angehörigen zurückzubringen - reizte ihn noch mehr. Dabei waren es nicht einmal seine Räuber! Schlimmer noch, er machte Witze über Kerym’tals Milch. Und er wurde aufdringlich. Kerym’tal versuchte noch, sich mit einer empfindlichen Verdauung - einer sehr, sehr empfindlichen Verdauung - rauszureden, kam aber am Ende nicht drumherum, sich doch einen von Dorans Kurzen hinter die Binde gießen zu müssen: Schließlich durfte er nicht riskieren, dass der Mann mit der prallgefüllten Geldbörse das Interesse verlor und nüchtern schlafen ging.
Aber was man auch immer über diesen Kerl sagen mochte, er vertrug wirklich sehr, sehr wenig. Da hatten Maere und Katie sich durchaus bereit gezeigt, sich gegenseitig unter den Tisch zu trinken, da machte der Mann auch schon schlapp. Freundlich, wie er war - und das trotz seiner erklärten Probleme mit Menschen - bot Kerym’tal an, ihm in sein Zimmer zu helfen, aber er ließ sich diesen Dienst mehr als nur fürstlich versilbern. Aus der Geldbörse nahm er sich, diesmal endlich unbemerkt, gerade so viel Geld, dass sein Fehlen nicht weiter auffallen würde, und da die Zeit noch reichte, durchsuchte er außerdem das Gepäck auf Wertsachen. Das Kostbarste war ein großer silbener Anhänger mit dem Symbol eines schäumenden Humpens, den Doran an einer fetten Kette um den Hals trug, beides zusammen bestimmt fünfzig Goldstücke wert! Aber es gelang Kerym’tal nicht, Mann und Kette voneinander zu trennen, jedenfalls nicht ohne weiteres.
Damit war seine Entscheidung gefallen. Doran wollte unbedingt mit ihnen nach dem Schatz der Räuber suchen - Kerym’tal wollte den Anhänger. Auch wenn das bedeutete, es vielleicht ein paar Tage länger mit dem unangenehm-aufdringlichen Kerl aushalten zu müssen - am Ende stand eine Belohnung, die es wert war, und hatte Kerym’tal nicht schon Dinge ausgehalten, die viel, viel schlimmer waren? Eben. Auch wenn er eigentlich geplant hatte, sich in der Nacht davonzumachen und allein sein Glück zu suchen, lag auch der Halbelf am Ende in seinem Gasthausbett und träumte dem nächsten Tag entgegen. Abenteuern. Reichtümern. Und einer Gruppe alter Kumpels, die er kurz davor noch nicht einmal gekannt hatte.