Kevron reagierte blitzschnell. Zu viel stand auf dem Spiel, sein guter Name! “Ich bin Kevron, ihr könnt mich Kev nennen.” Geschafft! Da blieb dem Gegner – “Mein Name ist Kevan” – nichts mehr übrig, als hinzuzufügen: “Dann könnt ihr mich nicht Kev nennen.” Damit waren die Grenzen klar abgesteckt. Und ebenso klar war abzusehen, daß es zwischen den beiden Kevs in Zukunft noch Probleme geben würde.
Ansonsten funktionierte der Übergang von Zufallsbekanntschaften zur Gruppe mittels Vorstellung ganz gut, und dem Vorschlag Kevans, aus allen brauchbaren Gegenständen der (Hob)Goblins einen großen Haufen zu machen, hatte auch nur Kevron widersprochen, der keinen Haufen wollte, sondern den geldwerten Kram direkt unter allen Beteiligten aufzuteilen – aber das war auch mehr ein Ablenkungsmanöver, denn gerade war Sargas dabei, zwischen Überresten und Hinterlassenschaften nach dem kostbaren Drogenpäckchen zu suchen. Und da waren sich die Diebesgildenmitglieder einig: Sowas gehörte nicht auf den Gemeinschaftshaufen. Tatsächlich war Kevans Mißtrauen geweckt, als der Halbelf plötzlich eine andere Jacke trug als vorher – nämlich die mit den kleinen eingenähten Päckchen – ließ sich dann aber doch überzeugen, daß Sargas genau so eine Jacke immer schon mal hatte haben wollen…
Und dann stand einem geruhsamen Nachtlager eigentlich nichts mehr im Wege. Eigentlich. Wären die Abenteurer nicht, nachdem sie den Unterstand freigeräumt, die stinkenden Goblinschlafsäcke verbrannt und alles fürs Übernachten vorbereitet hatten, auf die Idee gekommen, sich erst nochmal in den Ruinen umzusehen. Was für Ruinen? Keiner hatte Ahnung; die Inschrift auf Goblinisch, auf die Karza schließlich stieß und die Torim mühelos entzifferte, sprach von irgendeiner Stammeshalle. Aber die Ruinen waren eigentlich kaum der Rede wert, und wenn es da irgendeinen Eingang gäbe, hätten die Gobbos dann in Zelten gewohnt? Also doch besser zurück, das Nachtlager wartet, und Kevrons zaghafte Vorschläge, man könne sich doch gemeinsam betrinken, waren bislang ungehört verhallt – und dann fand Kevan das Loch.
Vergessen war das Nachtlager. Man nehme ein Loch, gerade etwas größer als ein Dachsbau, man nehme eine Gruppe Abenteurer, und schon denken sie nur noch an das Eine: Dungeons. Reiche Schätze, schreckliche Feinde, alles, was das Heldenherz erfreut. Und wen schickt man vor? Den Dieb, weil er die Fallen findet und die geheimen Türen? Den Zwerg, weil der schon für das Leben unter der Erde alle mitbringt? Den Kämpfer, weil der für alle Eventualitäten die richtige Ausbildung genossen hat? Natürlich nicht. Man schickt den Magier, der genau sieben Trefferpunkte hat und für den Tag alle relevanten Zauber, bis auf ‘Comprehend Languages’, schon aufgebraucht hat. Weil er klein ist. Was auch sonst?
Missverständnisse gab es bezüglich der Beleuchtung. Kevron wollte den unidentifizierten Zauberstab mitnehmen, schließlich leuchtete der, aber da selbst er auf Händen und Knien in den Gang mußte, brauchte er freie Hände – und die Erklärung, sich den Stab dann “worein” zu stecken, womit er natürlich nur seinen Kragen meinte, kam bei den anderen nicht wie gewünscht an, und bis heute sind die Gefährten der Meinung, daß Kevron die Sonne aus dem Arsch scheint. Aber egal. Kevron kroch also los, und schon nach wenigen Metern bereute er die Entscheidung zutiefst, wollte sich schon auf den Rückweg machen, als plötzlich der Boden vor ihm nachgab. Zum Glück stürzte er nicht die vier Meter tief in die unterirdische Kammer, sondern schaffte es zurück zu den anderen, die das besaßen, was Kevron fehlte: Seilen, zum Beispiel. Und damit gerüstet, machten sich die Helden auf den Weg in ihren allerersten eigenen Dungeon.
Erstmal gab es nicht wirklich etwas Interessantes zu sehen. Verfallene Türen, die keinen Widerstand bildeten. Zwei geheimnisvolle Fässer, die keinen gereiften Wein enthielten, sondern nur a) nichts und b) gewesenes Pökelfleisch – da wollte man eigentlich gleich schon wieder zurück. Aber eben noch in diesen Gang mit den beiden Türen, wo man schon mal da ist… Und so stand der Schurke vor der Steintür und suchte nach einem Öffnungsmechanismus, während die Barbarin die Holztür aufbrach. Kevron, derweil, kam langsam auf die Idee, daß sie vielleicht doch besser zu ihrem Lager zurückkehren sollten, denn mit sieben Trefferpunkten, drei Level-Null-Zaubern und ohne Rüstung würde er nicht lange durchhalten, wenn es zum Kampf kommen sollte. Drei Anläufe später gelang es ihm tatsächlich, sich Gehör zu verschaffen, unmittelbar bevor Sargas die Steintür endlich offen hatte, und so beschlossen sie, nach dem von Karza aufgebrochenen Schlafzimmer für den Tag aufzuhören.
Das Schlafzimmer bot ein Bett, eine Truhe mit klerikalen Gewändern in Gobbogröße, einen Durchgang zu des Klerikers Privatklo, und einen großen Teppich. Torim erkundete den Durchgang, Kevron fand das Skelett im Bett, als Karza auf die Idee kam, den Teppich wegzurollen und hüpfenderweise auf dem Boden darunter eine Geheimtür zu finden. Drei Hüpfer brauchte sie, und den vierten, um nicht in die mit Speeren gespickte Grube zu stürzen, die sich unter ihren Füßen auftat. Im gleichen Moment gellte der Alarm, ein Fallgitter donnerte runter und sperrte die drei im Zimmer ein, während Kevan und Sargas auf dem Gang scheppernde Schritte hörten und ein paar rotglühender Augen auftauchte… Nein, dort unten lebte seit mindestens zwanzig Jahren nichts mehr. Aber für ein Skelett, genau gesagt: Drei Skelette, denn es hatte noch zwei Hunde dabei, war immer noch Platz.
Diesmal war es Sargas, der zu Boden ging, obwohl er geistesgegenwärtig mit einer Fackel auf das Skelett eintrüffelte, das nur mit Wuchtwaffen effektiv zu verletzen war. Karza gelang es, unter Mithilfe von Torim und Kevron, das Fallgitter hochzustemmen, und bald darauf waren die Skelette Geschichte und der Halbelf wieder auf den Beinen. Und dann, endlich, beschlossen die Fünf, den Tag ausklingen zu lassen und sich endlich ihrem Nachtlager zu widmen. Und als sich dann Kevron von Kevan vorwerfen lassen mußte, Informationen zurückzuhalten und gegen die Interessen der Gruppe zu handeln, war es an der Zeit, sich endlich die grundsätzliche Frage zu stellen: “Sind wir jetzt eine Gruppe?”
Die Antwort steht noch aus.