Der Brief hatte schon eine ganze Weile auf Kevan gewartet – kein Wunder, wie sollte Vater Midac auch wissen, daß sein Sohn für mehrere Wochen mit einer Gruppe ebenso wildfremder wie chaotischer Abenteurer in den Wald ziehen würde! Aber was er zu berichten hatte, klang gar nicht gut: Die Dörfer der Umgebung wurden von einem gefräßigen Wyvern terrorisiert, und es war nur eine Frage der Zeit, bis kein Schaf mehr übrig war und es mit den Kindern weiterging… Nun war Kevans Vater nicht irgendein Bauer, sondern ein durchaus erfahrener Kämpfer, aber zum einen war er nicht mehr der Jüngste, und zum anderen fiel es ihm nicht mehr so leicht, das Doppelklingenschwert zu führen, seit er nur noch einen Arm hatte. Es verstand sich von selbst, daß Kevan zur Hilfe eilen würde – nur es allein mit einem Wyvern aufnehmen, das wollte er dann doch nicht. Der Kämpfer hatte keine Wahl – er mußte doch die Gruppe noch einmal mobilisieren.
Denn die fünf Reisekameraden waren nach dem gemeinsamen Bad erst einmal getrennte Wege gegangen, und jeder von ihnen hatte seine eigenen Pläne für die Zukunft: Torim hatte den Auftrag angenommen, in den Sümpfen die seltene Teufelspflanze weniger zu pflücken als mehr zu erjagen; Sargas war auf Infomationen über eine Ruinenstadt mit mutmaßlich wertvollen Grabbeigaben gestoßen, und Kevron hatte nicht nur einen Mitglieds- und Biblioteksausweis der Stufe Eins für die Magierakademie erworben, der sich sicher mit geringem Aufwand auch zu einem Stufe Zehn Ausweis würde machen lassen, sondern auch angefangen, zumindest eine Kopie des frischerbeuteten Schuldscheins anzufertigen, für die schlechten Zeiten, man weiß ja nie… Trotzdem, für den Nachmittag hatten sie sich alle in der Betrunkenen Meerjungfrau verabredet. Ob sie nun eine richtige Gruppe waren oder nicht, irgendwie fingen sie ja doch an, sich aneinander zu gewöhnen.
Zumindest die Stimmung war gut – Torim führte Karza freundlich und hilfsbereit in die Geheimnisse des Zwergenbieres ein, und Kevron kam zwar etwas verspätet, dafür hatte er schon eine Weinprobe hinter sich, oder zumindest etwas in der Art: Da ein normaler Reisender, noch dazu einer mit begrenzter Traglast, nur geringe Mengen an Wein mit sich führen kann und Kev auf dem ganzen Rückweg keinerlei Identifizierungen mehr durchführen konnte, da ihm der nötige Wein ausgegangen hat, hatte er beschlossen, sich einen nimmermüden Weinschlauch bauen zu lassen und die Priester des Cayden Cailean, Gott der Freiheit, des Bieres, Weins, und der Tapferkeit, ausersehen, ihm das zu konstruieren, und hatte daher den Großteil des Tages im Schäumenden Krug zugebracht: “In einem gutes Wirtshaus bekommt man alles.” Da er dabei in Vorkasse getreten war und demzufolge innerhalb eines Tages schon wieder abgebrannt – immerhin hatte er es geschafft, vorher noch die größten Schulden zu bezahlen und seine guten Werkzeuge beim Pfandleiher auszulösen – war er willens, sich gleich ins nächste Abenteuer zu stürzen. Und da kam Kevans Bericht vom Brief seines Vaters ganz Recht.
Auch die anderen waren einem neuen Abenteuer nicht abgeneigt. Zwar drängte es Torim sumpfwärts, und Sargas hätte gern Rekruten für das Ruinenstürmen angeworben, aber allen war klar, daß die Not eines Dorfes vorging, noch dazu wenn es nur einen Tagesritt entfernt war und von der Familie eines Mitstreiters bewohnt. Zwar gab es kleine Unstimmigkeiten, was genau ein Wyvern ist und ob man ihn Wei-wern oder Wie-wern ausspricht, oder doch gleich Lindwurm, oder Drache – aber giftig ist das Viech, darüber waren sich alle einig, und darum wurde vor dem Aufbruch nicht nur in Pferde investiert, sondern auch in Gegengifte, sicher ist sicher, auch wenn Kevron etwas maulte, daß die zu erwartende Belohnung kaum die Unkosten decken dürfte. Entsprechend entsetzt war er dann auch angesichts des kleinen Häuschens, in dem Vater Midac mit seinen vielen Kindern den Lebensabend fristete – hatte dieses Abenteuerleben wirklich so wenig abgeworfen? Da überlegt man sich das mit dem Heldsein doch nochmal…
Nun ist es kein leichtes Unterfangen, ein fliegendes, giftiges Drachentier zu besiegen, vor allem, wenn man nicht weiß, wo es sein Lager hat. Kevrons Vorschlag, dem Wyvern mit einem explodierenden Schaf eine Falle zu stellen, war vielleicht der Tatsache geschuldet, daß er zu dem Zeitpunkt nicht ganz nüchtern war, aber klar war, einfach nur vorstürmen ist zu gefährlich. So ritten die Gefährten in der Dämmerung los, suchten nach drachenförmigen Schatten am Himmel, und als Sargas etwas sah, daß der Wyvern sein konnte, und dann auch noch ein armes Schaf kläglich blökte, taten sie das einzig Wahre: Sie stürmten los. Wenn man schon mal die Chance hat, so ein Viech auf frischer Tat zu ertappen, muß man sie nutzen – geplant war, den Wyvern zu verwunden und dann der Blutspur bis zum hoffentlich schatzträchtigen Hort zu verfolgen. Aber natürlich sollte es ganz anders kommen.
Zum Nahkampf war dieser Gegner nicht geeignet, dieweil er sich in der Luft befand, aber zumindest drauf schießen konnte man, und Torim gelangen ein paar gute Treffer mit der Armbrust – was dann natürlich das Interesse des Wyvern von den Schafen abzog und dem Zwerg zuwandte. Ein heftiger Hieb mit dem stachelbewehrten Schwanz, und der Waldläufer konnte froh sein über seine angeborene Giftresistenz. Aber die Chancen standen doch arg zugunsten des Wyvern, zumindest, solange der fliegen konnte. Aber wozu führte die Gruppe einen mächtigen Magier mit sich? Und was das angeht, gibt es kaum einen tolleren Zauber auf der ersten Stufe als Colour Spray: Egal, wieviele Trefferwürfel ein Gegner hat, wenn er seinen Rettungswurf in den Teich setzt, ist er zumindest für eine Kampfrunde betäubt. Und ein betäubter Wyvern fällt zu Boden. So.
“Stürzt euch auf die Flügel!” schrie Torim, aber das war fast schon egal, Hauptsache, das große Hauen und Stechen konnte beginnen. Die Barbarin verfiel in Raserei und hackte große Stücke aus dem wehrlosen Drachen, Torim schoß ihm zielsicher ins Auge, Kevan verpaßte ihm Schläge links und rechts, und Sargas hatte am Ende die Ehre, den Gnadenstoß setzen zu dürfen: Und dann war er tot, der Wyvern, und bereit, sich fachgerecht zerlegen zu lassen. Die Schuppen konnten mal eine feine Rüstung abgeben, aus dem Schwingenleder kann man Pergament mit interessanter Textur machen, die Zähne ergeben ein Trophäenhalskettchen, auch wenn der Kopft dann nicht mehr ganz so eindrucksvoll an der Wand aussieht, und dann war da noch die Giftdrüse, die eine Menge Geld einbringt, wenn es gelingt, sie unbeschädigt zu bergen. Ach ja, und das Schaf konnte man auch noch mitnehmen, irgendwie macht so ein Kampf ja Hunger…
Erstmals konnten unsere Helden sich nun auch als solche feiern lassen, die dankbare Landbevölkerung war nur zu gern bereit, das Schaf zu rösten und Bier und Cider auszuschenken, und dann kehrte die Gruppe siegreich nach Zweiklippen zurück, nicht um getrennter Wege zu gehen, sondern um als nächstes bestvorbereitet die Jagd auf die Teufelspflanze zu eröffnen. Kevrons strategisch eingesetzter Colour Spray brachte ihm von Torim so viel Lob ein, daß man nur zu dem Schluß kommen konnte, daß die anderen ihn bis zu diesem Zeitpunkt für gänzlich überflüssig gehalten haben mußten – aber wer einen fliegenden Drachen aus der Luft holen kann, der hat eine Existenzberechtigung. Und wenn er dann auch noch eine Giftdrüse für 3.000 Goldstücke verkaufen kann, erst recht. Nur die Drachenschuppenrüstung rückt in etwas weitere Ferne: Denn um eine mittelgroße Kreatur sinnvoll zu rüsten, muß der Drachen schon ein paar Nummern größer sein. Aber das kann ja immer noch kommen, wenn man erst mal wieder aus dem Sumpf zurückgekehrt ist.