Nach der doch irgendwie stressigen Überfahrt waren die Gefährten froh, einfach mal zwei Tage lang den Ball flachzuhalten, während sie in Südwacht auf die Ankunft von Talathel warteten. Der hatte schließlich Hilfe versprochen, die nötigen Besuchervisa für die Elfenlande zu bekommen, und an denen waren sie doch deutlich mehr interessiert als an der Gesellschaft ihres elfischen Begleiters. Als es am Ende des zweiten Tages, Meraid und Kerym’tal hatten sich gerade auf dem Heuboden des Gasthauses zur Ruhe gebettet, unten an der Leiter klopfte, geruhten die beiden, doch wieder aufzustehen und zu sehen, wer sie da besuchen kam, und wirklich, da stand der Elf.
Talathel hatte die Spuren der Skum bis zum Schwarzenbruch verfolgt, einem gefährlichen Gebiet voller Monster und Untote, in das er sich nicht allein hineinwagen wollte, und dort dann verloren – und sich beeilt, von da aus auf dem schnellsten Weg nach Südwacht zu kommen. Am folgenden Morgen in aller Frühe wollte er mit den Gefährten zur Waldläufergilde gehen und ihnen dort einen Auftrag erteilen, und damit sollte man ihnen das Visum dann auch nicht mehr verweigern können. Mit der Aussage wollte Talathel auch schon wieder verschwinden, aber Kerym’tal bat ihn hoch, um nicht quer durch den Ort brüllen zu müssen, was sie in der Zwischenzeit über den vermissten Erhardt und Gildenmann Reder herausgefunden hatten, und zu erzählen, dass da ein Elf am Pier auf Talathel gewartet hatte. Talathel bedankte sich für die Auskünfte und verschwand mit der Aufforderung, ihn am anderen Morgen beim Mondaufgang zu treffen.
Kerym’tal nahm es auf sich, rechtzeitig vor dem ersten Hahnenschrei wachzuwerden und seine Gefährten zu wecken, und hatte mit beidem auch Erfolg, so dass sich im Mondlicht bald alle fünf Pfadfinder um den Elfen drängten. Talathel erstattete nochmal Bericht, wo es um den Schwarzensumpf ging, und die Frage kam auf, wie groß dann das Jagdgebiet der Skums ist – wenn die im Schwarzenbruch hausen, was hatten sie dann auf der Wallau zu suchen? Aber das musste zu einem späteren Zeitpunkt untersucht werden, wenn überhaupt – erst einmal gab es einen dringlicheren Auftrag. Und endlich ein paar Auskünfte darüber, wie es bei den Elfen so zu sich ging.
So friedlich und einladend, wie sich das Kerym’tal vielleicht vorstellte, ging es da gerade jedenfalls nicht zu. Da gab es auf der einen Seite die Magier, die in der Hauptstadt saßen und mit allen Nicht-Magiern nichts zu tun haben wollten, und auf der anderen Seite die Waldläufer, die im Grenzgebiet unterwegs wagen, die Grenzen am liebsten dicht halten wollten, aber verstanden, dass sie um eine Kooperation mit den Menschen von Orwin nicht herumkamen. Denn auch bei den Elfen waren Leuzte verschwunden, der Kontakt zu einer ganzen Sippe spurlos abgerissen. Der Botschafter, Celegol, wollte jedoch nicht, dass Außenstehende in der Sache ermitteln, namentlich recht keine Menschen.
Die Gefährten grinsten in die Runde: Menschen gab es bei ihnen nur rein rechnerisch, wenn man zwei Halbelfen in einen Menschen und einen Elfen auflöste, und wer wollte das schon? So folgten sie Talathel zum großen Langhaus unter dem Lindenbaum, wo die Waldläufergilde ihr Quartier hatte, und warteten dort, während Talathel die Anschlagstafel nach dem richtigen Auftrag durchsuchte – als der Elf vom Pier, Leibwächter Alantin, hereinkam und das in Begleitung von niemand geringerem als dem elfichen Botschafter. Sie wussten sofort, was Talathel da im Schutze der Dunkelheit versuchten, und sie waren sauer.
»Talathel!«, rief der Botschafter. »Wir haben dir doch gesagt: Keine Menschen!«
Die Gefährten blickten sich umschuldig um. »Ich sehe hier keine Menschen«, sagte Evy, und die anderen stimmten ihr zu. Aber das machte den Botschafter nur noch zorniger.
»Eines wie das andere!«, schnaubte er. »Rundohren!«
Jetzt richteten sich alle Augen auf den armen Thorn, das einzige Gruppenmitglied, das keine spitzen Ohren hatte – deutlich als Zwerg zu erkennen, prachtvollen Bart inklusive, war aber auch er weit von einem Menschen entfernt.
Talathel, derweil, hatte den Zettel gefunden, den er gesucht hatte, und ungerührt von Botschafter und Leibwächter drückte er ihn Kerym’tal, dem selbsterklärten Anführer der Gruppe, in die Hände. Damit war der Auftrag ganz offiziell übergeben und angenommen, und darin beinhaltet das Visum für die Elfenlande. Es gab nichts mehr, was Celegol oder Alantin noch dagegen hätten tun können, außer, zornig abzurauschen.
Danach fühlten sich die Gefährten bereit, sich auf den Weg zu machen. Aber es war vielleicht ganz gut, dass sie das nicht sofort taten: Schließlich wollten sie von Friedmut die Boote leihen, und es war immer noch vor Sonnenaufgang – der Kaufmann hätte sich das mit den Verleihen vielleicht nochmal überlegt, wenn sie ihn um die Zeit aus dem Bett geworfen hätten! So blieben sie noch ein weilchen bei Talathel, um sich eine Bedieungsanleitung für die Elfenlande und eine Landkarte für selbige einzusammeln. Wenn sie nach erfolgten Ermittlungen Bericht erstatten wollten und Talathel nicht mehr antrafen, sollten sie sich bei der Sammlergilde oder einem Druidenzirkel melden – während Talathel eigene Dinge zu erledigen hatte.
Dann, endlich, war es an der Zeit, die Boote abzuholen und sich auf den Weg zu machen. Die Gefährten schwankten, ob sie zwei oder drei Boote brauchten, und entschieden sich dann für drei Boote, auch wenn das hieß, dass mehr ihnen würden selbst rudern müssen. Sie ließen ihre Pferde gut versorgt im Fröhlichen Einhorn zurück, nur Evys Reithund, der problemlos mit ins Boot passte, durfte mitkommen, und so ging es dann auf den Weg, den sich verzweigenden Fluss hinunter.
Dank Andres ausgeteichneter Wegbeschreibung und Thorns ebenfalls ausgezeichneten Gedächtnisses war es kein Problem, den Weg zu finden. Und die Steuerung der Kanus war schnell gelernt. So konnte Kerym’tal, der beteuerte, stärker werden zu müssen, das Rudern übernehmen, während Meraid sich um die Steuerung kümmerte. So kamen sie gut voran und waren schon nach ein paar Tagen in der Nähe des Lagers – nah genug, zumindest, um zu verstehen, dass etwas nicht stimmte. Zumindest denjenigen der Gruppe, die keine eins gewürfelt hatten, fiel auf, dass der umgebende Wald ruhiger war, als er hätte sein sollen. Etwas im Wald hatte Angst, und das nicht unbedingt vor den bootsfahrenden Gefährten.
Gute zwei Stunden später erreichten sie das verlassene Holzfällerlager. Niemand war zu sehen oder zu hören, aber es war noch früh genug am Tag und hell genug, um nach Spuren zu suchen, und das taten die Gefährten dann mit Hingabe. Erst einmal mussten sie Andres zustimmen: ein großer Kampf hatte dort nicht stattgefunden, und auch kein kleiner. Alles war einfach verlassen – und das war schon sehr verdächtig. Schließlich hatten in dem Lager nicht nur Erwachsene gelebt, sondern auch ein gutes Dutzend Kinder, und wenn etwas passiert wäre, hätte man nicht versucht, als erstes die Kinder in Sicherheit zu bringen?
Aber es gab keine Spur von den Kindern, und auch nicht von den Erwachsenen. Aber einer Wildsau. Irgandwann in der Zwischenzeit hatte eine Wildsau das Lager aufgesucht, herumgeschnuffelt, und war wieder gegangen. Doch Waldläuferin Meraid sah noch mehr als diese Spuren – sie fand Fußabdrücke. Auffällig kleine Fußabdrücke – nicht von den verschwundenen Kindern: Das sah deutlich nach Goblins aus! Nur, wirklich viele Spuren waren nicht mehr aufzufinden. Auch die erfahrendste Waldläuferin konnte nichts finden, wo Wochen voller Wind und Witterung Zeit gehabt hatten, alle Spuren im freien zu verwischen. Blut, zum Beispiel, sollte längst fortgewaschen oder von den Insekten vertilgt worden sein.
Nach dieser Erkenntnis gingen die Gefährten systematisch vor und konzentrierten sich bei ihrer Suche auf das Innere der Häuser. Die Hinwiese auf Goblins verdichteten sich. Den besten Fund aber machte Urorn, als er ein Buch fand, in dem der Vorarbeiter den täglichen Holzschlag dokumentiert hatten – was, wo, wie viel. Der letzte Eintrag war datiert auf den 25. März, danach – nichts mehr. Sie fanden auch einen verschlossenen Lagerraum, den niemand in der Zwischenzeit angerührt hatte. Keine versteckten Kinder hier, und das war auch eine gute Sache – nach sechs Wochen hinter verschlossenen Türen wären die Kinder sonst in keinem guten Zustand mehr gewesen …
Aber da war der Tag auch schon vorbei, und das in- wie outtime. Zeit, Wachen aufzustellen und sich schlafen zu legen. Und das taten sie dann auch. Bis zum nächsten Mal!