In der Goblinhöhle gabelte sich der Weg: geradeaus, nach links oder nach rechts, die Gefährten wussten nicht, in welcher Richtung die Goblins verschwunden waren, als der sonst doch aggressiv-draufgängerische Kerym’tal etwas völlig unerwartetes vorschlug: Nämlich, nach Hause zu gehen. Seine Argumentation entbehrte nicht einer gewissen Logik: entweder waren die Goblins, die immerhin ein ganze Holzfällerlager überwältig hatten, sowieso viel zu mächtig für die fünf Gefährten, oder sie waren es eben nicht – und wollten sie wirklich hilflose Goblins niedermetzeln, nur weil ihnen deren Ohren nicht passten? Kerym’tal, der in seiner Jugend wegen seiner halbelfischen Ohren viel hatte einstecken müssen, hatte plötzlich sein Gewissen wiedergefunden.
Aber da war er der Einzige der Gruppe. Thorn erklärte ihm, dass die Goblins, selbst wenn sie nicht hinter dem Verschwinden der Holzfäller stecken sollten, trotzdem alles andere als harmlos waren: Sie aßen schließlich am liebsten Elfen und Menschen, und so sollte es in jedem Fall sinnvoll sein, sie zur Strecke zu bringen. Selbst wenn für die Holzfäller jede Hilfe zu spät kommen sollte … Nach einer kurzen Diskussion über links, rechts und Mitte – »zurück« stand nicht mehr zur Debatte – entschieden sich die Gefährten für die immer wieder nützliche Regel der linken Hand und wählten den linken Gang.
Nach einer Weile breitete sich ein unangenehmer Gestank aus, und das nicht von ungefähr: Der Gang mündete in eine Höhle, in der nicht nur die Hundezwinger der Goblins untergebracht waren, sondern auch deren Abort. Prompt begannen die Hunde zu bellen. Thorn sicherte nach hinten, und Kerym’tal, der sein Gewissen offenbar am Eingang zurückgelassen hatte, tötete nicht nur die Hunde, sondern auch gleich ihren Nachwuchs – aber, wie er betonte, auf humane Weise. Ebenfalls auf humane Weise durchsuchte Meraid den Raum und fand menschliche Überreste, die ihnen allen bestätigten, dass sie dabei waren, das richtige zu tun. Einen hübschen kleinen Ring, der zwischen den Überresten funkelte, nahm Meraid an sich. Bei Gelegenheit konnte sie ihre Gefährten immer noch darüber informieren.
Da der stinkende Raum eine Sackgasse war, ging es zurück zur Weggabelung. Diesmal, immer noch der Regel der linken Hand folgend, war der mittlere Gang an der Reihe. Der führte sanft nach unten – und direkt in eine Falle: ein Strick war unauffällig knapp über dem Boden gespannt. Aber nicht unauffällig genug. Schon hatte Meraid die Falle entschärft, sodass die Gefährten weitergehen konnten, zumindest bis zu einer Tür. Dieses Stück hölzerner goblinischer Wertarbeit war mit einem Riegel zugesperrt, aber dahinter konnte man jemanden atmen hören.
Ohne lang zu fackeln, schlug Thorn die Tür mit seinem Hammer ein, während auf der anderen Seite die Goblins hastig versuchten, sich zu verbarrikadieren. Nach dem Splittern der Tür blickten die Gefährten auf die Rückseite eines Schrankes. Aber auch das war kein großes Hindernis. Mit einem geübten akrobatischen Sprung kickte Kerym’tal den Schrank kurzerhand um, sodass der auf die Goblins kippte. Allerdings nicht auf alle – zwei mit Armbrüsten und der Chef hatte der Schrank verfehlt, während zwei weitere Goblins hastig versuchten, unter dem schweren Möbelstück wieder rauszukommen. Alle, Freund wie Feind, brüllten Initiative.
Den einen Armbrustschützen erschoss Meraid routiniert, während Kerym’tal über den Schrank sprang und seine Kurzschwerter in den den Goblinboss hineinstieß – was der aber natürlich trotz kritischem Treffer überlebte. Evy stimmte ein Bardenlied an, und schon waren drei Goblins tot. Ihr immer noch stehender Chef brüllte »Rückzug!«, aber nur Urorn war in der Lage, ihn zu verstehen, die anderen Gefährten sprachen alle kein Goblinisch. Und auch sonst ging der Ruf ins Leere: Mit einem zweiten kritischen Treffer tötete Kerym’tal jetzt auch noch den Chef und mit einer Gelegenheitsattacke den letzten fliehenden Goblin. Endlich Zeit, sich einmal umzuschauen!
Der Raum stellte sich als eine Art in den Stein gehauenes Wohnzimmer heraus. Eine Steintür mit Schriftzeichen, die Thorn nicht entziffern konnte, führte aus dem Raum hinaus, aber sie war a) verschlossen und b) magisch. Interessant auch die Tatsache, dass, obwohl hier Goblins gehaust hatten, das Mobiliar auf mittelgroße Bewohner ausgelegt war! Es gab noch einen zweiten Ausgang, aber erst einmal durchsuchten Meraid und Thorn den Raum, während Urorn seine und Kerym’tals Wunden verband. Dann die große Überaschung: Ausgerechnet Kerym’tal, der wenig akademisch ausgerichtete Barbar, konnte die Inschrift über der Tür entziffern. Was eine Kindheit in einem kirchlichen Waisenhaus halt so mitbringt, ist die Fähigkeit, Celestisch zu verstehen, ob man will oder nicht.
»Archiv der Wächter der [unleserlich]«, stand über der Tür. Und passend dazu fand Thorn einen Brief an einen gewissen Waldemar von jemandem, der/die gerne ein Siegel öffnen wollte. Die Gefährten versuchten, die Tür zu öffnen, und scheiterten, wie zu erwarten war. So gingen sie dann doch lieber durch den offenen Durchgang weiter. Zumindest ein Stück weit – dann standen sie vor der nächsten Steintür. Diese klaffte immerhin ein Stückweit auf. Dahinter waren Geräusche zu hören. Evy stellte sich hinter die Tür und versuchte, sie aufzuziehen, aber es blieb bei dem Versuch. Auch der ein Eckchen stärkere Thorn konnte die Tür nicht noch weiter öffnen, sie war verkantet und schon seit Ewigkeiten nicht mehr richtig geöffnet oder geschlossen worden. So mussten sich die Gefährten einer nach dem anderen durch den Spalt schieben.
Hinter der Tür erspähte Evy eine Gruppe von Goblinfrauen und -kindern, die sich zu verstecken versuchten, dazu sechs Bewaffnete und eine grauhaarige Goblinfrau. Der des Goblinischen mächtige Urorn schlug vor, zu verhandeln – Thorn war dagegen, aber er war der einzige; die anderen waren wirklich nicht scharf darauf, die Kinder zu töten. Großzügig boten die Goblins freien Abzug an – nicht, dass der irgendwie gefährdet gewesen wäre! – und, deutlich wertvoller, Informationen über Aufenthaltsort und Schicksal der Holzfäller. Die hatten sie, so beteuerte die alte Schamanin, nicht gegessen. Großes Goblinehrenwort!
So nahmen die Gefährten die Schamanin als Begleitung mit und erkundeten den Rest der Höhle – schließlich mag man nicht gehen, bevor die Karte vollständig gezeichnet ist! Danach gab es endlich die ersehnte Info: Mit der Entführung der Holzfäller hatten die Goblins überhaupt nichts zu tun. Die wurden nämlich tatsächlich von einem viel größeren Trupp Hobgoblins (und einem Grottenschrat) gefangengenommen, nachdem einer der Hobgoblins magische Kräfte bekommen hatte. Wie das so üblich ist, haben sie zu tief gegraben, etwas ausgebuddelt, und dann ist das, so die Goblinschamanin, passiert.
Sie wusste darüber so gut Bescheid, weil sie selbst dabei war: Ihre Goblins waren ursprünglich selbst Teil des großen Stammes, da aber ausgezogen (oder ausgezogen worden) und haben in diesem ungenutzten Tunnelsystem Unterschlupf gefunden. Sonst wären wahrscheinlich sie es gewesen, die der Hobgoblin jetzt graben lässt – und nicht die verschleppten Menschen. Sogar eine grobe Wegbeschreibung bekam die Gruppe – offenbar war die alte Schamanin wirklich nicht gut auf ihren ehemaligen Stamm zu sprechen.
Die Gefährten sammelten Evys vor der Höhle abgestellten Hund ein und kehrten zurück zum Holzfällerlager, wo sie ihre Vorräte zurückgelassen hatten, und schlugen dort ihr Nachtlager auf. Sie verbrachten den Abend mit den üblichen Dingen: Urorn verarztete die Verletzten, und Thorn zeichnete eine Karte der Umgebung. Alles wie immer – doch am anderen Morgen erwartete Thorn eine üble Überaschung …